Einleitung
Wir leben in einer Datengesellschaft. Im Alltag generieren wir laufend Daten. Zum Beispiel, wenn wir unseren Standort teilen, Cookies akzeptieren oder Apps für die eigene Vermessung einsetzen (Jogging-Apps etc.). Zudem treffen wir immer häufiger auf Datenvisualisierungen, welche die Welt und komplexe Zusammenhänge erklären. Datenkompetenz ist daher zentral für die Teilnahme in der heutigen Datengesellschaft, da Daten und die Interpretation davon Auswirkungen auf die Welt haben (Pinney 2020: 223-224).
Begriffsdefinition
Datenkompetenz (engl. ‹Data Literacy›) ist die Fähigkeit in einer kritischen Art und Weise Daten zu sammeln, zu verwalten, zu bewerten und anzuwenden (Ridsdale et al. 2015: 2). Tabelle 1 unterteilt Datenkompetenz in fünf Kompetenzbereiche mit 22 Kompetenzen (ebd.: 38).
Kompetenzbereich | Kompetenz |
---|---|
1. Grundlagen | Datenverständnis |
2. Datensammlung | Datenerschliessung und -sammlung |
Evaluierung und Sicherstellen der Datenqualität und -quellen | |
3. Datenmanagement | Datenorganisation |
Datenmanipulation | |
Datenkonvertierung | |
Erstellen und Nutzen von Metadaten | |
Datenpflege, Beurteilung von Datensicherheit und Wiederverwendung | |
Datenaufbewahrung | |
4. Datenevaluation | Umgang mit Datenwerkzeugen |
Grundlegende Datenanalyse | |
Dateninterpretation (Verständnis) | |
Mithilfe von Daten Probleme identifizieren | |
Datenvisualisierung | |
Daten präsentieren (mündlich) | |
Datenbasierte Entscheidungsfindung | |
5. Datenanwendung | Kritisches Denken |
Kritische Datenkultur fördern | |
Ethischer Umgang mit Daten | |
Daten korrekt zitieren | |
Daten teilen | |
Entscheide basierend auf Daten beurteilen |
Herausforderungen von der Datensammlung bis zur Datenanwendung
Datenkompetenz ist wichtig, weil von der Datensammlung bis zur Datenanwendung diverse Herausforderungen zu meistern sind. Bereits bei der Datensammlung können erste Hürden auftauchen:
- In England führte der Einsatz von Excel dazu, dass rund 16’000 Corona-Fälle nicht rapportiert wurden (BBC 2020).
- Die Verwendung von Faxgeräten bei der Meldung von Coronafällen führte in der Schweiz zu Verspätungen in der Datenerfassung (NZZ 2020).
Die nächsten Schritte umfassen die Evaluation und Anwendung der Daten. Die COVID-19-Pandemie zeigt, dass aus der Evaluation der lokalen Datengrundlage unterschiedliche Handlungsempfehlungen abgeleitet werden können, um ein Ziel zu erreichen. Je nach Land und Region werden beispielsweise andere Strategien angewendet, um die Corona-Situation vor Ort in den Griff zu bekommen. Das Ziel ist dabei weltweit das Gleiche: Mit der Verlangsamung der Ausbreitung des Viruses sollen die Gesundheitssysteme entlastet werden, d. h. es soll verhindert werden, dass die Spitäler an die Kapazitätsgrenze stossen (WHO 2020).
Für die Kommunikation der Handlungsempfehlungen und Strategien an die Bevölkerung werden im Rahmen der Berichterstattung vielfach Visualisierungen erstellt. Daten wie auch Visualisierungen sind jedoch nie neutral oder objektiv. Das Erstellen einer Datenvisualisierung beinhaltet diverse Schritte und Entscheidungen, welche dazu führen, dass jeweils nur ein Ausschnitt der vorhandenen Daten gezeigt wird. Unzählige andere plausible Darstellungen werden nicht kommuniziert (Kennedy und Hill 2016: 772).
«Eine Visualisierung kann mathematisch und geometrisch korrekt und trotzdem rhetorisch irreführend sein.»
Alberto Cairo (Autor von ‹How Charts Lie›) via Twitter (5. November 2020), eigene Übersetzung
Daten werden nach D’Ignazio und Bhargava (2020: 209) nämlich immer in einem bestimmten politischen und sozialen Kontext erhoben und kommuniziert. Je nach Zielgruppe werden andere Darstellungsformen gewählt und es wird eine andere Argumentationslinie verwendet.
Datenvisualisierungen richtig zu interpretieren heisst zu hinterfragen. Insbesondere bei scheinbar einfachen und verständlichen Darstellungen versuchen wir vielfach voreilige Schlüsse zu ziehen bzw. abkürzen (vgl. ‹Thinking, Fast and Slow› von Kahneman). Das illustriert zum Beispiel die hunderttausendfach geteilte Abbildung der australischen Buschfeuer 2019/2020 (vgl. untenstehenden Twitter-Post von Rihanna). Aus dem Tweet von Rihanna ist nicht ersichtlich, wer diese Visualisierung erstellt hat und zu welchem Zweck. Aufgrund der Twitter-Kommentare ist davon auszugehen, dass diese Visualisierung sehr oft als Momentaufnahme falsch interpretiert wurde. Beim Betrachten der Visualisierung könnte man meinen, dass es sich einerseits um ein Satellitenbild handelt und andererseits dass alle dargestellten Feuer gleichzeitig brannten. Beides ist jedoch falsch. Es handelt sich um eine 3D-Visualisierung von Anthony Hearsay, die auf Daten der australischen Buschfeuer basiert, die im Verlauf eines Monats aufgetreten sind (BBC News 2020).
Datenkompetenz in der Schweiz
Die oben genannten Herausforderungen und Beispiele zeigen auf, warum Datenkompetenz nicht nur für Fachpersonen, sondern auch für die breite Bevölkerung zunehmend wichtig wird. Im Zusammenhang mit der Coronakrise verfassten Prof. Dr. ès sc. Diego Kuonen und Dr. med. Monique Lehky Hagen im Juli 2020 einen Appell für eine dringliche nationale Datenkompetenz-Kampagne. Sie fordern eine breit angelegte Informationskampagne, die Bereitstellung von niederschwellig zugänglichen Schulungsmaterialien und Ausbildungsprogrammen sowie die Einrichtung von ‹Data Literacy› Kompetenzstellen. Weitere Infos dazu gibt es auf data-literacy.ch.
«Denn Datenkompetenz brauchen wir mittlerweile alle tagtäglich für viele persönliche und gesellschaftliche Entscheidungen, leider oft, ohne dass wir uns dessen wirklich bewusst wären.»
Data Literacy – Schweiz (2020)
Kurz darauf, am 24. September 2020, reichte auch Beat Rieder (CVP, Ständerat) eine Interpellation ein, welche eine nationale Datenkompetenzkampagne fordert (Interpellation 20.4173). Die Coronakrise zeige auf, wie bedeutsam verlässliche Daten sind und wie zentral es ist, diese Daten verstehen zu können.
Fazit
Datenkompetenz ist zentral für die Teilhabe in einer digitalen Gesellschaft. Die Fähigkeit in einer kritischen Art und Weise mit Daten umzugehen, ist sowohl für diejenigen wichtig, welche Visualisierungen erstellen als auch für jene, die sie interpretieren. Datenkompetenz bedeutet, dass wir einen Moment inne halten und kritisch reflektieren, was die Visualisierung aussagen will beziehungsweise was damit für eine Geschichte erzählt werden soll. Datenvisualisierungen werden nicht zum Selbstzweck erstellt, sondern sollen die Betrachtenden von einer bestimmten Sache überzeugen, Wissen vermitteln oder eine Handlung auslösen.
Folgende Fragen helfen uns dabei bei der Einordnung:
- Wer hat die Visualisierung erstellt?
- Mit welchen Daten wurde die Visualisierung erstellt?
- Zu welchem Zweck? Was ist das Ziel der Visualisierung?
- In welchem Kontext befinden wir uns?
- Ergibt die Visualisierung Sinn?
Abschliessend gilt festzuhalten, dass Personen und Organisationen, welche Daten sammeln und über deren Einsatz entscheiden, in einer Machtposition sind. Sie tragen deshalb eine ethische Verantwortung gegenüber denjenigen, welche ihre Daten zur Verfügung stellen sowie denjenigen, welche die Daten oder daraus entstandene Visualisierungen interpretieren (Pinney 2020: 225).
Weiterlesen
Alle im Beitrag verwendeten Quellen sind im zentralen Literaturverzeichnis aufgelistet.
Für den einfacheren Zugang zu diesem Themenkomplex werden die relevantesten Beiträge auf giswelt den fünf Kompetenzbereichen (Tabelle 1) zugeordnet: Beiträge zur Datenkompetenz.
Roland Alber
Für mich ist es sehr frustrierend wenn ich in meinem Umfeld die Notwendige der Datenkonpetenz nicht näher bringen kann. Ich hoffe hier eine Unterstützung gefunden zu haben. Danke.
Silvio Suter
Merci für die Rückmeldung. Ich denke ebenfalls, dass in diesem Bereich noch viel Potenzial besteht.